Richtiges Stürzen

Das Kapitel über das richtige Stürzen haben wir in vier Abschnitte unterteilt. Die ersten drei folgen dabei dem Ablauf während eines Sturzes:

  • Loslassen
  • Entspannen
  • Danach
  • Bekleidung

Kommen wir damit zum wohl heikelsten Thema im Leben eines Motorradfahrers: dem Sturz!
Natürlich, ich weiß, du fährst immer auf der sicheren Seite, hast eine super Reaktion, bist immer Herr der Lage und außerdem bist du der Meinung: „Das passiert nur den anderen.

Ich selbst habe bis zur Stunde etwa 700 Mm auf diversen Motorrädern zurückgelegt. Mit nur zwei (unverschuldeten) Unfällen. Natürlich gab - und gibt - es immer wieder brenzlige Situationen. Bisher konnte ich diese aber alle gut meistern. Ich glaube, dass ein wesentlicher Grund dafür der ist, dass ich mich gedanklich viel mit dem Motorradfahren auseinandersetze und alle (un)möglichen Situationen im Kopf hunderte Male durchgespielt habe (und das auch heute noch mache).
Für all jene, die sich auch mit diesem wenig angenehmen Thema befassen wollen (oder müssen) hier ein paar Gedanken dazu. Diese Überlegungen entstanden beim Lesen diverser Artikel, dem Besuch von vielen Motorrad-Trainingskursen, auf Grund eigener Überlegungen und Erfahrungen sowie durch viele Gespräche mit MotorradfahrerInnen.

Vorab etwas Grundsätzliches
Es gibt sicher viele wichtige Punkte zu diesem Thema. Für mich einer der Wichtigsten ist der, dass man sich einmal gedanklich damit auseinander setzt. Dazu muss man sich erst einmal folgendes eingestehen und mit dem Gedanken vertraut machen: EIN STURZ KANN JEDEM, JEDERZEIT PASSIEREN!! Ich behaupte sogar, dass er in der Natur der Sache liegt und einfach zum Motorrad fahren gehört! Das soll jetzt niemandem Angst machen. Aber ich finde, jeder Biker (natürlich auch jede Bikerin) muss sich dessen einmal bewusst sein. Egal ob die Ursache Unerfahrenheit, Unachtsamkeit oder - sehr häufig - der Fehler eines anderen Verkehrsteilnehmers ist: Man muss immer zu einem Sturz bereit sein. Ich weiß, das hört sich jetzt sehr hart an. Aber jeder der mit einem Motorrad fährt, wird in seiner Bikerkarriere mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit einen Sturz bauen. Ich habe auch die Beobachtung gemacht, dass vor allem jene, die von sich behaupten : „Mir kann sowas nicht passieren, ich fahre wie ein Weltmeister”, diejenigen sind, die am schnellsten dem Papst Konkurenz machen, und den Boden küssen. Nebenbei sei nur bemerkt, dass auch Weltmeister absolut nicht vor Stürzen gefeit sind!

Sehr schnell zum „Asphaltküsser” wird man auch, wenn man den Gedanken verdrängt, dass es einen selbst auch einbauen kann. Das hat etwas mit Zielfixierung zu tun: Das ist etwa so, wie wenn man eine volle Kaffeetasse trägt. Je mehr man sich darauf konzentriert, nur ja keinen Tropfen zu verschütten, desto mehr Kaffee verschüttet man letztendlich (oft findet sich dann mehr Kaffee in der Untertasse als in der Schale). Du musst dir das etwa so vorstellen: Wenn du deine volle Konzentration darauf richtest nicht zu stürzen, verbleibt dir zum Fahren keine Konzentration mehr. Und so passieren Fehler, die zu Stürzen führen können. Ich finde, wenn man Motorrad fährt, muss man einfach den Gedanken und die Tatsache akzeptieren, dass man dabei vom Motorrad fallen und sich verletzen (oder Schlimmeres) kann! Wohlgemerkt kann - nicht muss!! Ich halte auch wenig von der Einstellung: „Ein echter Biker muss mindestens xx Stürze gehabt haben” (das kommt mir so vor, wie wenn jemand sagt: „Ein echter Soldat muss mindestens zweimal erschossen werden”). Das sind Aussagen, die meist gerade von Sturzpiloten kommen, die sich trotzdem als „echte Biker” fühlen wollen. Jetzt einmal Tacheles: Man muss nicht vom Bike fallen, aber man muss sich dessen bewusst sein, dass man jederzeit vom Bike fallen kann!

Da es also keine Garantie gibt, nie mit dem Motorrad zu stürzen (außer man fährt nicht), im Folgenden einige Punkte, die dir helfen sollen, das ganze möglichst heil zu überstehen.
Dass eine entsprechend vorausschauende und angepasste Fahrweise eine wesentliche Voraussetzung für unfallfreies Fahren ist, muss wohl nicht extra erwähnt werden!

1. Weg vom Motorrad
Ein sehr wichtiger Punkt beim Stürzen ist das LOSLASSEN. Ich weiß, sagt sich sicher leichter als es ist. Warum ist dieser Punkt aber nun so wichtig, was wird damit erreicht?

Dazu gibt es mehrere Aspekte:
Einmal kann man ein Motorrad nur so lange kontrollieren, wie es fährt. Ein auf der Seite dahinschlitterndes Motorrad kann niemand mehr kontrollieren. Im Gegenteil: Es kontrolliert dich - wenn du nicht loslässt! Ein weiterer, sehr wichtiger Punkt ist der, dass ein Motorrad, auf Grund seines Gewichtes und der geringeren Reibungsfläche, einen oft deutlich längeren Weg bis zum Stillstand zurücklegt als der Pilot alleine. Wenn dieser sich also krampfhaft festhälst, wird er einen viel längeren Sturzweg haben!

Ach ja, da gibt es noch diese tollen Geschichten, wo jemand jemanden kennt dessen Urstrumpftante einen Neffen hatte, dessen Arbeitskollege einen Sturz wie folgt meisterte:
In einer Kurve ist das Motorrad unter ihm weggerutscht (Lowsider). Er hat sich dann einfach oben draufgesetzt und ist so, ohne selbst Bodenkontakt zu haben, dahingeschlittert (eigentlich müsste man schon sagen „dahingesurft”), bis das Motorrad von selbst zum Stillstand gekommen ist.

Selbst wenn man diese zweifelhafte Story glauben will, gibt es hier einiges zu bedenken, ehe man so etwas selbst ausprobiert:
Wie wir ja schon wissen, hat man über ein dahinschlitterndes Motorrad keinerlei Kontrolle. D.h. in diesem Fall, würde ich auf einem unkontrollierbaren Geschoss reiten, das mit mir durch die Landschaft schlittert. Bleibt das Motorrad nun irgendwo hängen (und bei unseren BaustellenStraßen - ist das nicht so ganz unwahrscheinlich), überschlägt es sich. Und der sich daran festklammernde Surfer ebenso!
Ich würde es nicht drauf ankommen lassen wollen - du vielleicht?

2. Entspann dich
Ich weiß, das sagt sich jetzt auch wieder einfach. Wer kann sich schon in einer Situation, in der es einen normalerweise erst so richtig zusammenkrampft, entspannen? Und genau das ist der springende Punkt: Da das nicht von alleine geht, muss man es sich immer wieder vor Augen halten und geistig durchspielen (und viele Rennfahrer trainieren es sogar gezielt). Dann geht es im Falle des Falle(n)s ganz automatisch!

Warum ist das Entspannen so wichtig?
Nun, dafür sprechen mehrere Gründe: So wird etwa die Aufprallfläche vergrößert, was den Druck auf eine größere Fläche verteilt. Und glaube mir, es macht einen gewaltigen Unterschied ob du ein Gewicht von sagen wir einmal 75 kg (ok, es sind gute 80), nur mit der Handfläche abfängst oder mit der ganzen Körperseite. Vor allem Knochenbrüche (Kahnbein, Handgelenk) und Schulterverletzungen können so sehr gut vermieden werden. Jeder der einmal Judo (oder irgend eine andere Kampfsportart) gemacht hat, weiß jetzt sicher was ich meine. Auch hast du sicher schon einmal gehört, dass kleine Kinder und Betrunkene oft die ärgsten Stürze bauen und sich trotzdem nicht weh tun. Der Grund dafür ist deren Lockerheit (bei den kleinen Kindern, weil sie noch keine Angst kennen und im anderen Fall sorgt der Alkohol dafür. Es heißt ja nicht umsonst: „Alkohol macht locker” ;-) ).
Das soll jetzt aber nicht heißen, dass du alkoholisiert fahren sollst („Herr Wachtmeister, dass ist nur damit ich schön locker bin, falls ich stürze!”). Davon raten wir natürlich absolut ab - und es ist ja auch GsD verboten!

Erfahrungsbericht:
Bei meinem zweiten Unfall (ein Pkw missachtete die Stopptafel und stand plötzlich quer über meine Spur, Details dazu hier) hatte ich einen Abflug mit >100 km/h. Beim Ausweichmanöver fing sich der Sturzbügel gerade noch an der Stoßstange, ich stieg auf (wie bei einem Highsider), krachte mit dem rechten Bein ans Windschild, dadurch überschlug ich mich in der Luft, knallte mit dem Hintern in etwa 2 Metern Höhe gegen eine Richtungstafel, überflog diese und stürzte dahinter einen vier Meter hohen Abhang hinunter, schlitterte noch einige Meter dahin bis ich zum Stillstand kam.
Meine Gedanken dabei: Wow, der Himmel ist heute blau (Überschlag), au (Anschlag an der Tafel), locker bleiben, locker bleiben (während des restlichen Sturzes), was macht das ganze Gras in meinem Helm (als ich zum Liegen kam. Es hatte mir das Visiser vom Helm gerissen).
Meine Verletzungen? Eine Prellung am Allerwertesten, sonst nichts. Glück? Sicher auch. Aber viel machte wohl das richtige Verhalten aus (und auch, dass ich nicht in kurzen Hosen und mit Jesuslatschen unterwegs gewesen war. Dazu mehr bei Punkt 4).

Ein Tipp noch für alle KaugummifetischistInnen:
An dieser Stelle ein besonderer Tipp für die KKF (=Kaugummi-Kau-Fraktion). Er hört sich vielleicht etwas komisch an, du kannst mir aber (als „alten Sani”) glauben, dass er nicht zu vernachlässigen ist:
Wenn ein Sturz absehbar ist, dann schluck deinen Kaugummi schnell hinunter oder spucke ihn einfach aus!
Glaube mir, es ist um einiges besser das Helmfutter zu reinigen, als an einem Kaugummi zu ersticken oder ihn auch nur zu aspirieren (= in die Atemwege zu bekommen)!

3. Nach dem Sturz
Es ist nun einmal passiert, du musstest absteigen (mach dir nichts draus, das passiert auch den Besten). Da du dich geistig schon oft mit dieser Situation auseinander gesetzt hast, bist du locker geblieben und du hast dich brav vom Bike getrennt. Irgendwann kommst du auch zum Stillstand.

Was nun?
Wenn du auf der Fahrbahn zum Stillstand gekommen bist hat das Vor- und Nachteile:
Ein Vorteil ist der, dass du dann (hoffentlich) nirgends angeschlagen hast. Nachteil ist, dass es noch andere Verkehrsteilnehmer gibt. Und hier heißt es: ruhig Blut. Denn der größte Fehler wäre nun, aufzustehen und im Zick-Zack-Kurs zu versuchen, dem Verkehr auszuweichen. Stell dir mal vor, du fährst mit dem Auto und vor dir hüpft jemand kreuz und quer über die Fahrbahn. Die Wahrscheinlichkeit dass er getroffen wird, ist sicher sehr groß. Auf jeden Fall deutlich größer, als wenn er ruhig stehen bleibt und den anderen die Möglichkeit gibt an ihm vorbei zu fahren. Wenn ich ein Hindernis klar erkennen und zuordnen kann, wird es meist nicht sehr schwer sein ihm auszuweichen (denke daran, was wir diesbezüglich bei der Blicktechnik besprochen haben).

4. Die richtige Schutzkleidung
Auch wenn du alles bisher gesagte beherzigst hast, gibt es noch einen ganz wesentlichen Punkt, der dich vor Verletzungen schützt: die RICHTIGE Bekleidung! Dieser Punkt sollte eigentlich selbstverständlich sein. Aber leider ist das nicht immer so.
Sicher sind dir an heißen Sommertagen auch schon Biker, trotz hoher Geschwindigkeit in kurzen Hosen, Ruderleiberl (oder auch gar keines), Turnschuhen (auch Jesus-Latschen und Bloßfüßige soll man schon gesehen haben) t begegnet. Was, du bist selbst so einer? Schlimm, sehr schlimm. Wenn ich so etwas sehe, wird mir in meiner Schutzkleidung gleich noch eine Spur heißer:
Glaub mir, schon ein kleiner „Schotterausschlag” brennt mehr als es je ein Sonnenstrahl auf deiner (Leder)Montur könnte!

Im Ernst, das ist wirklich äußerst leichtsinnig - und grenzt eigentlich schon an Dummheit! Wenn man auf ein Motorrad steigt, sind bestimmte „Mindeststandards” bei der Bekleidung ein unbedingtes Muss. Diese wären:
lange Hose, ordentliches Schuhwerk (nein, Turnschuhe sind damit nicht gemeint!), Jacke mit Protektoren, Handschuhe und natürlich ein Helm (nicht nur weil er Vorschrift ist!).
Optimal wäre natürlich auch eine Hose mit Protektoren und ein Nierengurt. Auch hilft die beste Motorradjacke nicht - oder deutlich wenig - wenn sie offen getragen wird.

Ob die Schutzkleidung eine Lederkombi ist oder aus Textil-/Funktionsfaser, ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, der Einstellung und des Einsatzgebietes. Da gibt es strikte Verfechter in beiden Lagern, die nur ihre Sicht der Dinge für gut befinden. Auf diese Diskussion wollen wir uns hier aber gar nicht erst einlassen. Da soll jeder für sich herausfinden was ihm besser liegt. Mir ist es wurscht - Hauptsache ordentlich geschützt! Wobei ich bei großer Hitze eine Protektorenjacke trage (so habe ich den Schutz und trotzdem erträgliche Temparaturen). Und es gibt auch spezielle Sommerjacken aus luftdurchlkässigem Gewebe, so dass es eigenltich keine Ausreden mehr gibt.

Wie wichtig richtige Schutzbekleidung beim Biken ist zeigt die Geschichte von Brittany Morrow (diese findest du im Nez). Das sollte jedem die Augen öffnen. Damit genug von diesem weniger schönen, aber sehr wichtigen, Thema.

Wir wünschen dir, dass du nie stürzen mögest. Wenn aber doch, so sollst du darauf vorbereitet sein - und wir hoffen, unsere Überlegungen können dir dann helfen!